Liebe Mitglieder der deutschen Minderheit in Polen,
es ist wieder an der Zeit, einen Rückblick auf das vergangene Jahr zu machen und die wichtigsten Ereignisse und Erfolge, aber auch Sorgen und Herausforderungen, die sich in der Gemeinschaft der deutschen Minderheit ergeben haben, zusammenzufassen. Gleichzeitig ist es auch die Gelegenheit, nach vorne auf die bevorstehenden Herausforderungen des kommenden Jahres zu blicken.
Das Jahr 2024 war eine sehr arbeits- und ereignisreiche Zeit. Zu den wichtigsten Erfolgen können wir die Rückkehr von drei Stunden des Deutschunterrichts als Minderheitensprache pro Woche an polnischen Schulen ab dem 1. September 2024 zählen. Im Jahr 2022 begann die Diskriminierung, indem die Zahl der Unterrichtsstunden von drei auf lediglich eine reduziert wurde. Während dieser zwei Jahre haben sich Vertreter der deutschen Minderheit für die Änderung dieser Entscheidung eingesetzt, um zur „Normalität“ zurückzukehren, also zu einer Situation in der unsere Kinder die gleichen Rechte haben, wie auch Kinder anderer Minderheiten. Die Hoffnung haben die Parlamentswahlen in Polen Ende des Jahres 2023 gebracht. Die konstruktiven Gespräche mit der neuen Regierung haben im Ergebnis dazu geführt, dass Deutsch als Minderheitensprache gemäß der alten Regelung in den Schulen zurückgekehrt ist. Damit wurde die zweijährige Diskriminierung von rund 60.000 Kindern der deutschen Minderheit beendet. Trotz der Wiedereinführung der drei Stunden in den Schulen werden die Folgen der früheren Verordnung noch sehr lange spürbar sein. Die Qualität des Unterrichts macht uns an vielen Stellen zunehmend Sorgen, aber auch der Lehrermangel, der an vielen Schulen zu einem ernsten Problem geworden ist, da einige Lehrer das Fach wechseln mussten. Die Entscheidungen der neu gewählten polnischen Regierung haben dazu beigetragen, dass die zwei Vertreter der deutschen Minderheit in der Gemeinsamen Kommission der Regierung und der Minderheiten ihre Arbeit in diesem Gremium nach zwei jähriger Abwesenheit wieder aufgenommen haben.
Trotz aller Schwierigkeiten in dem Sprachbereich sind die Initiativen der deutschen Minderheitenorganisationen umso bemerkenswerter.
Zu den regelmäßigen Maßnahmen gehören Samstagskurse und Deutsch AG sowie Kleinprojekte, die im Rahmen von Deutsch vor Ort, wie auch der „Begegnungsstättenarbeit“ durchgeführt werden. Ihre Umsetzung leistet einen wertvollen Beitrag zur Förderung der deutschen Sprache und Kultur sowie zur Integration innerhalb der Gemeinschaft. Neben diesen Projekten wird auch ein großer Wert auf das Gedenken an die Vergangenheit gelegt. Verschiedene Gedenkfeierlichkeiten, die von dem VdG und anderen Organisationen der deutschen Minderheit organisiert werden, sensibilisieren das Bewusstsein für die historischen Erfahrungen der Volksgruppe.
Am 7. April 2024 fanden in Polen die Selbstverwaltungswahlen statt, an denen sich auch die Mitglieder der deutschen Minderheit in Polen aktiv beteiligt haben. Traditionell am aktivsten waren in diesem Bereich die Mitglieder in der Woiwodschaft Oppeln, wo sie aber zum ersten Mal nicht von einem Minderheitenkomitee kandidiert haben, sondern in einer breiteren Formel der Schlesischen Regionalpolitiker. Diese Formel, die auch ein Wagnis war, hat letztendlich zum Erfolg geführt und somit bleiben die Vertreter der deutschen Minderheit auf allen Ebenen der Regionalpolitik in Oppeln vertreten. Im Oppelner Regionalparlament haben Vertreter der Schlesischen Regionalpolitiker die Funktion der Vizemarschallin und des Vorsitzenden des Regionalparlaments inne.
Am 15. Mai hat der Sejmmarschall Szymon Hołownia Herrn Ryszard Galla zum Berater für nationale und ethnische Minderheiten berufen. Es ist ein großer Erfolg nicht nur für die Deutschen, sondern für alle in Polen lebenden Minderheiten.
Am 2. Juli fanden zum ersten Mal nach sechs Jahren Pause in Warschau die deutsch-polnischen Regierungskonsultationen statt. In dem von beiden Regierungen unterzeichneten Aktionsplan wird auch unsere Volksgruppe erwähnt. In diesem Dokument ist u. a. die Rede davon, dass der 2010 gegründete deutsch-polnische Runde Tisch, der sich mit den Belangen der deutschen Minderheit in Polen und der Polen in Deutschland befassen sollte, in einer neuen Formel wieder belebt werden soll.
Im September hatten viele Regionen Polens mit schweren Überschwemmungen zu kämpfen, die erhebliche Schäden verursacht haben. Zu den Betroffenen gehören auch Mitglieder der deutschen Minderheit. Angesichts dieser Tragödie wurden Spenden- und Sammelaktionen von den Organisationen der deutschen Minderheit gestartet, um den Flutopfern zu helfen. Es hat auch nicht an Freiwilligen gefehlt, die sich in die überschwemmten Gebiete begeben haben, um vor Ort zu helfen und den Betroffenen beizustehen.
Das Jahr 2024 war auch ein Jahr besonderer Jubiläen. Wir haben die langjährige Partnerschaft zwischen dem VdG und dem Landesverband Thüringen des Bundes der Vertriebenen gefeiert. Die seit 30 Jahren gepflegte Zusammenarbeit hat der deutschen Volksgruppe eine wichtige Unterstützung im Bereich der Bildung gebracht. Grund zum Feiern hatten auch der Verein Pro Liberis Silesiae und der Schul- und Kindergartenkomplex in Raschau in der Gemeinde Tarnau, die seit 15 Jahren die Schülerinnen und Schüler in ihrer Bildungsentwicklung fördern. Auch der Verein Schlesischer Landfrauen in Walzen und die Neidenburger Gesellschaft haben ihre runden Jubiläen begangen, wobei die Mitglieder auf eine beeindruckende 30-jährige Tätigkeit zurückblicken konnten.
Es sind auch 15 Jahre vergangen, seitdem die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Kraft getreten ist. Die Charta ist u. a. für die Aktivitäten der deutschen Minderheit in Polen und Europa von großer Bedeutung, da sie angemessene Lösungen und konkrete Leitlinien für den Schutz und die Entwicklung der Minderheitensprache bietet. Es ist auch bereits 20 Jahre her, dass Polen der Europäischen Union beigetreten ist, was gerade für die DMi von großer Bedeutung gewesen ist, denn seitdem bilden wir eine Europäische Familie mit der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern.
Im kommenden Jahr 2025 stehen uns weitere Jubiläen bevor, u. a. der 80. Jahrestag der Tragödie der Deutschen im Osten, die in den Woiwodschaften Schlesien und Oppeln auch Oberschlesische Tragödie genannt wird. Dieses Ereignis, erinnert an Morde, Vergewaltigungen, Raubüberfälle, Verhaftungen, Vertreibungen, Inhaftierungen in Arbeitslagern und Deportationen. Viele Menschen haben ihr Leben verloren und viele mussten mit dieser schmerzhaften Erfahrung weiterleben. Um der Opfer zu gedenken, werden von den Organisationen der deutschen Minderheit das ganze Jahr über verschiedene Veranstaltungen zu diesem Anlass geplant und durchgeführt.
Außerdem wird auch an das 20. Jubiläum des Minderheitengesetzes gedacht. Dieses regelt Fragen im Zusammenhang mit der Erhaltung und Entwicklung der kulturellen Identität nationaler und ethnischer Minderheiten, der Erhaltung und Entwicklung der Regionalsprache, der staatsbürgerlichen und sozialen Integration von Angehörigen nationaler und ethnischer Minderheiten sowie der Art und Weise der Umsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung.
Viele Vereine der deutschen Minderheit, die gleich nach der Wende entstanden, werden ihr 35. Jubiläum der Gründung feiern. Dazu gehören u. a. die zwei größten Woiwodschaftsorganisationen – SKGD Oppeln und DFK Bezirk Schlesien.
Es steht also ein ereignisreiches Jahr vor uns. Nicht nur gesellschaftlich und kulturell, sondern auch politisch. In Deutschland stehen Bundestagswahlen an, an denen auch in Polen lebende Deutsche teilnehmen können. Die Ergebnisse dieser Wahl werden nicht nur in der Bundesrepublik spürbar sein, sondern auch in anderen Ländern Europas, auch in Polen. Ich möchte an dieser Stelle alle, die einen gültigen deutschen Pass oder Personalausweis besitzen, dazu ermutigen, an diesen Wahlen teilzunehmen. In Polen werden dann höchstwahrscheinlich im Mai die Präsidentschaftswahlen folgen. Diese Wahlen sind auch für uns unheimlich wichtig, denn von dem Präsidenten hängt in Polen vieles ab, was wir immer wieder in den vergangenen Jahren zu spüren bekamen. Auch hier heißt es, aktiv bleiben und an den Wahlen teilnehmen.
Zum Schluss möchte ich mich bei allen Mitgliedern der Organisationen der deutschen Minderheit in Polen für die ehrenamtliche Arbeit und für das Engagement bedanken. Die vergangenen Jahre haben uns bewiesen, dass es am wichtigsten ist, dass wir aktiv bleiben und unsere Identität, Sprache und Kultur pflegen. Die aktuelle politische Situation in Polen hat uns gewisse „Fenster der Möglichkeiten“ aufgemacht und diese können wir nur dann nutzen, wenn wir auch weiterhin aktiv bleiben.
Für das neue Jahr wünsche ich uns allen viel Freude an der Arbeit für und mit der deutschen Minderheit. Ich freue mich über jede Aktivität unserer Organisationen, vor allem über jene, an denen auch Jugend beteiligt ist. Bleiben wir weiterhin mutig, denn es lohnt sich. Ich wünsche Ihnen ein gutes Neues Jahr!
Rafał Bartek
Vorsitzender der Sozial-Kulturellen Gesellschaft im Oppelner Schlesien