Am 6. August wurde Karol Nawrocki als Präsident der Republik Polen vereidigt und hielt eine Ansprache vor der Nationalversammlung. Zwei führende Vertreter der deutschen Minderheit baten wir um eine Einschätzung zu seinen Worten.
In seiner fast halbstündigen Rede sprach der Präsident über die Werte, an denen er sich bei der Ausübung seines Amtes orientieren werde, sowie über konkrete Aufgaben, die er sich selbst und der politischen Klasse in Polen stellt.
Er erklärte seine Verbundenheit mit christlichen Werten, versprach, sich am Willen des Volkes zu orientieren und nicht als Sprachrohr der Politiker zu agieren, sowie sich für eine ausgewogene Entwicklung des Staates einzusetzen.
Er sprach sich für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der internationalen Bündnisse aus, denen Polen heute angehört. In Bezug auf die Europäische Union betonte er, dass Polen ein Teil von ihr sei, doch zugleich – mit einer gewissen Distanz – unterstrich er, dass „Polen Polen ist, nicht die Union“ und dass es „Polen bleiben wird“. Er versprach, die Beziehungen zur EU zu fördern, aber sich auch gegen die Übertragung von Kompetenzen von Warschau nach Brüssel zu wehren. Schließlich sprach er sich gegen die Einführung des Euro in Polen aus.

– Karol Nawrocki, Rede vor der Nationalversammlung
Quelle: Kanzlei des Präsidenten
Unter den Aufgaben, die er sich für seine fünfjährige Amtszeit vornimmt, nannte er unter anderem den Einsatz für die Sicherheit des Staates – beginnend beim einzelnen Soldaten bis hin zum Aufbau einer Armee, die die stärkste NATO-Kraft innerhalb der EU sein soll – sowie die Einberufung eines Kabinettrats noch im August, der sich mit den wichtigsten Entwicklungsprojekten befassen soll.
Langfristig kündigte er unter anderem an, sich um die Qualität des polnischen Schulwesens zu kümmern sowie eine Institution zu schaffen, die die rechtliche Lage in Polen verbessern soll – nämlich einen Rat für die Reform des politischen Systems – und die Arbeit an einer neuen Verfassung aufzunehmen, die nach dem Willen des Präsidenten im Jahr 2030 verabschiedet werden soll.
Ein Präsident für alle Bürgerinnen und Bürger?
Der Präsident wandte sich an die in Polen und im Ausland lebenden Polen, erwähnte jedoch nicht die polnischen Staatsbürger anderer Nationalitäten – also die nationalen und ethnischen Minderheiten. Außenpolitischen Themen widmete er in seiner langen Ansprache vergleichsweise wenig Raum; er konzentrierte sich auf die Beziehungen zur EU, zur NATO und zu den USA.
– Wir hatten ein wenig Sorge davor – räumt Rafał Bartek ein, Vorsitzender des Vorstands der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien (SKGD) und des VdG – dass der Präsident sich in seiner Ansprache vor allem auf innere Themen und die Innenpolitik konzentrieren würde. Doch wir leben in Zeiten, in denen sich europäische Staaten kein vollständig eigenständiges Handeln mehr leisten können. Zusammenarbeit ist notwendig – wegen der äußeren Bedrohungen, auf die Karol Nawrocki hingewiesen hat, aber auch deshalb, weil wir als Bürger Europas in einer grenzenlosen Realität leben und eine Gemeinschaft bilden wollen. Die Zukunft Polens erfordert geradezu eine enge Zusammenarbeit mit den Nachbarn und anderen Ländern.
„Wir hoffen, dass Herr Nawrocki ein Präsident aller Bürgerinnen und Bürger Polens sein wird – auch der nationalen und ethnischen Minderheiten“, betont Rafał Bartek. „Auch wenn er das nicht ausdrücklich sagte, glauben wir daran. In einem Glückwunschschreiben werde ich ihn daran erinnern, dass wir auf ein entsprechendes Signal und Anerkennung als loyale Bürger hoffen.“
– Es ist schade, dass sich der Präsident so klar gegen den Beitritt Polens zur Eurozone ausgesprochen hat – fügt er hinzu. – Meiner Meinung nach ist das eine wirtschaftliche Frage und sollte als solche analysiert werden. Die Äußerung von Herrn Nawrocki zeigt jedoch, dass dies zu einer politischen Frage gemacht wird. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch Länder, die später als Polen der EU beigetreten sind, aus wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Gründen der Eurozone beigetreten sind.
Der Vorsitzende des VdG äußert die Hoffnung, dass Herr Nawrocki ein Präsident aller Bürgerinnen und Bürger der Republik Polen sein wird – auch jener, die nationalen oder ethnischen Minderheiten angehören.
– Wir glauben daran – betont Rafał Bartek – obwohl diese Worte aus seinem Munde nicht gefallen sind. Aber auch frühere Präsidenten und Premierminister haben das nicht ausdrücklich gesagt. In diesem Geiste werde ich ihm in den kommenden Tagen ein Glückwunschschreiben senden, in dem ich betone, dass wir auf ein solches Signal des Präsidenten und auf eine entsprechende Haltung gegenüber Bürgern anderer Nationalitäten hoffen. Wir sind nicht viele, aber wir sind loyale Bürger der Republik Polen.
Kommunalpolitiker über Investitionen und Chancengleichheit
Łukasz Jastrzembski, Vorsitzender der Schlesischen Regionalpolitiker und Bürgermeister von Leschnitz, hörte die erste Ansprache des Präsidenten vor allem aus der Perspektive eines Kommunalpolitikers.
– Ich habe die Worte über die Überwindung der Teilung in Polen A und B – zwischen großen Städten und kleinen Gemeinden – positiv aufgenommen – sagt Łukasz Jastrzembski – sowie über den Aufbau eines starken Polens durch die Umsetzung wichtiger Investitionen, angefangen beim CPK bis hin zur Entwicklung von Verkehr und Straßen. Verkehr und Infrastruktur sind Aufgaben, die auf kommunaler Ebene umgesetzt werden, und darin sehe ich eine gewisse Chance. Natürlich unterscheiden sich die Kompetenzen von Präsident und Regierung, aber man muss hoffen, dass wachstumsfördernde Gesetze für die Kommunen vom Präsidenten unterstützt werden.

– Karol Nawrocki über die polnische Souveränität
Quelle: Kanzlei des Präsidenten
– Ich habe auch auf die Worte von Karol Nawrocki geachtet, dass der in den letzten drei Jahrzehnten geschaffene Wohlstand in Polen weder sozial noch regional gerecht verteilt wurde – fügt der Bürgermeister von Leschnitz hinzu. – Ich verstehe dies als Ankündigung einer gleichberechtigten Behandlung aller Bürger und aller Kommunen, denn Polen ist ein einziges Land. Vor einigen Jahren hatten wir eine Situation, in der Kommunen nicht gleich behandelt wurden. Die politischen Präferenzen in den damaligen Förderentscheidungen wurden durch Studien des Batory-Instituts bestätigt. Hoffen wir, dass solche Ungleichbehandlungen der Vergangenheit angehören.
Diese zwei Stimmen aus der Führung der deutschen Minderheit spiegeln die Stimmung zu Beginn der Präsidentschaft gut wider. Sie enthalten sowohl Befürchtungen als auch hoffnungsvolle Erwartungen. Denn einige Ankündigungen Karol Nawrockis gingen über die verfassungsmäßigen Befugnisse des Präsidenten hinaus. Was er tatsächlich umsetzen wird – und in welchem Stil –, wird erst die Zukunft zeigen.
Krzysztof Ogiolda