Religiosität, Körperlichkeit und Alltag

wochenblatt.pl 38 minut temu

Die Wahrheit über das heutige Schlesien aus der Sicht von Katarzyna Witerscheim

Mit Katarzyna Witerscheim, Zeichnerin und Comic-Autorin, bekannt unter dem Pseudonym PannaN, spricht Andrea Polanski über schlesische Identität, Weiblichkeit und Kunst, die keine Tabus scheut.

In deinen Arbeiten taucht Schlesien häufig auf – sowohl als Ort als auch als kulturelles Motiv. Wie entstand die Idee, Schlesien als Handlungselement und Hintergrund in deinen Comics zu verwenden? Und siehst du dich selbst als schlesische Künstlerin?

Ich fange von hinten an – ja, ich sehe mich als schlesische Künstlerin. Obwohl ich seit Jahren in Lodsch lebe, die ich ebenfalls mag und an die ich mich gewöhnt habe, würde ich nie sagen, dass ich eine Künstlerin aus Lodsch bin. Ich fühle mich immer noch stark mit Schlesien verbunden, denn genau darüber schreibe ich, und die schlesische Kultur beeinflusst stark, was ich tue. Es ist mir einfach vertraut – ich bin dort aufgewachsen, habe dort Familie, diese Werte sind mir wichtig. Ich sehe auch Unterschiede zwischen der schlesischen Kultur und dem Rest Polens, in großen wie kleinen Dingen. Ich will mich davon nicht abgrenzen. Ich habe darin meine Nische gefunden und bemerkt, dass es ein Publikum gibt, das solche Kunst braucht – man könnte sagen, schlesische Popkultur. Und ich habe mich darin einfach wiedergefunden.

Denkst du, dass das heutige Schlesien eine neue künstlerische Sprache braucht, um über sich selbst zu sprechen?

Absolut ja. Auch wenn man die schwierige Geschichte Schlesiens nicht vergessen sollte – die komplizierten Beziehungen zwischen Polen, Deutschen und Schlesiern, die tragischen Ereignisse vor und nach dem Krieg – dürfen wir nicht ständig in der Erzählung verharren, dass wir Opfer sind, Märtyrer, dass uns niemand mag. Ich denke, wir brauchen Kunst, die die positive Seite Schlesiens zeigt, ohne übermäßiges Selbstbemitleiden, Selbstgeißelung oder die Betonung, wie sehr wir unterschätzt und vergessen werden. Eine hellere, leichtere Darstellung Schlesiens halte ich für eine viel bessere Strategie.

Katarzyna Witerscheim ist Zeichnerin und Comic-Autorin, bekannt unter dem Pseudonym PannaN.

Deine Comics, wie „Helena Wiktora“ oder „Heksa“, interpretieren die schlesische Geschichte und Mythologie neu. Welche Botschaft möchtest du vermitteln?

Dass Schlesien toll ist – das ist wahrscheinlich die einfachste Botschaft, die ich vermitteln kann. Es mag banal klingen, aber ich finde, dass Einfachheit nicht Mangel an Bedeutung oder Wert bedeutet. Ich möchte Schlesien auf eine andere, interessantere Weise zeigen. Meist wird es entweder als sehr gequälte Region dargestellt – was natürlich auch ein wichtiger und wahrer Aspekt ist – oder als etwas Seltsames, Unverständliches, fast Kosmisches für den Rest Polens. Ich möchte etwas dazwischen finden. Es ist mir wichtig, dass Schlesien in meinen Comics den Menschen hier nahe ist – dass sie sagen können: „Das ist meins, das ist mein Zuhause, mein Hajmat“ – und gleichzeitig interessant für Zuschauer außerhalb der Region ist. Ich will mich nicht auf ein kleineres Publikum beschränken. Wenn meine Comics nur Schlesier erreichen würden, hätte das Erstellen keinen größeren Sinn.

Schaffen es deine Comics auch, Leser außerhalb Schlesiens zu erreichen? Wie werden sie aufgenommen?

Die Resonanz ist sehr positiv. Für viele Menschen außerhalb Schlesiens ist schon die Tatsache überraschend, dass jemand diese Region aufgreift und Comics darüber macht, die nicht streng historisch oder biografisch sind, sondern Genres bedienen – Romanzen, magischer Realismus und Ähnliches.

Wenn man an eine Dame des 19. Jahrhunderts und Industrie denkt, ist das erste Bild oft das viktorianische England: Bälle in London, elegante Salons, Frauen in Kleidern, die durch Parks spazieren. Niemand denkt wahrscheinlich an Beuthen – dabei war es einst eine sehr reiche, farbenfrohe Stadt, voll solcher Damen und ähnlicher Bälle. Ich wollte zeigen, dass solche Geschichten auch hier hätten passieren können, nicht nur in London.

Die Schlesierinnen sind außergewöhnlich starke, verantwortungsbewusste und gut organisierte Frauen – solche, die viel durchgemacht haben und von jeher eine enorme Verantwortung tragen. Eigentlich sind Frauen auf der ganzen Welt eine unterschätzte Gruppe, die gleichzeitig mit vielen Pflichten und Erwartungen belastet ist. Ihnen wird ständig Druck gemacht, sich auf bestimmte Verhaltensweisen, Rollen und Aufgaben zu beschränken. Aber die Geschichte Schlesiens ist vor allem eine Geschichte von Frauen – Müttern, Ehefrauen, Töchtern.

Genau auf diese Realität verweist mein Comic „Helena Wiktora“, basierend auf der Geschichte von Joanna Schaffgotsch, geb. Gryczik, dem sogenannten „schlesischen Aschenputtel“. Die Handlung spielt 1875 in Beuthen, und die Hauptfigur ist eine junge Erbin eines riesigen Vermögens, die nach Jahren nach Schlesien zurückkehrt und versucht, ihren Platz in einer von Männern und Konventionen dominierten Welt zu finden. Es ist eine Geschichte über weiblichen Ehrgeiz, Unabhängigkeit und den Kampf um die eigene Zukunft – aber auch über Schlesien, das damals ein Zentrum von Industrie, Reichtum und kultureller Vielfalt war. Genau dieses Bild der Region wollte ich wiedergeben – lebendig, leidenschaftlich und voller unerwarteter Schönheit.

In diesem Jahr fand in Tichau deine Ausstellung „Vervollständigung. Comics von Katarzyna Witerscheim und das schlesische Wandtuch“ statt. Sie wurde medial viel beachtet, da sie religiöse, erotische und regionale Themen verband – siehst du gerade in dieser Konfrontation die Wahrheit über das heutige Schlesien?

Ja, denn Schlesien ist wirklich ein Ort voller Kontraste. Einerseits sehr religiös und traditionell, andererseits sinnlich, fröhlich und lebendig. Es ist eine Region mit klar geprägter Identität und tief verwurzelter Geschichte. Die Schlesier haben ein starkes Identitätsgefühl – wir sind wir, die anderen sind die anderen – und gleichzeitig sind sie äußerst gastfreundlich und offen. Diese unterschiedlichen Eigenschaften und Energien existieren hier ganz natürlich nebeneinander. Gerade in dieser Verbindung – zwischen Religiosität, Körperlichkeit und Alltag – sehe ich die Wahrheit über das heutige Schlesien.

Katarzyna Witerscheim ist Zeichnerin und Comic-Autorin, bekannt unter dem Pseudonym PannaN.

In deinen Arbeiten tritt oft die weibliche Perspektive hervor – Frauen stark, aber auch mit der Realität kämpfend. Was für Frauen sind deiner Meinung nach die Schlesierinnen? Hat sich ihr Bild im Laufe der Zeit verändert?

Ich denke, die Schlesierinnen sind außergewöhnlich starke, verantwortungsbewusste und gut organisierte Frauen – solche, die viel durchgemacht haben und von jeher eine enorme Verantwortung tragen. Eigentlich sind Frauen auf der ganzen Welt eine unterschätzte Gruppe, die gleichzeitig mit vielen Pflichten und Erwartungen belastet ist. Ihnen wird ständig Druck gemacht, sich auf bestimmte Verhaltensweisen, Rollen und Aufgaben zu beschränken. Aber die Geschichte Schlesiens ist vor allem eine Geschichte von Frauen – Müttern, Ehefrauen, Töchtern. Es ist die Geschichte von Bergmannsfrauen, die Kinder großzogen, von Mädchen, die Bildung erhielten, während Jungen oft in die Minen oder zum Krieg geschickt wurden. Es ist auch die Geschichte wohlhabender Frauen, die sich gesellschaftlich engagierten, in Organisationen tätig waren und für Frauenrechte kämpften. Viele pro-polnische Initiativen in Schlesien wurden von Frauen gegründet – und auch wenn ich nicht bewerte, ob das gut oder schlecht war, zeigt es, welche enorme organisatorische Kraft sie hatten und welchen Einfluss sie auf die Region ausübten.

Katarzyna Witerscheim ist Zeichnerin und Comic-Autorin, bekannt unter dem Pseudonym PannaN.

Tatsächlich erwähnen Männer das selten.

Aber zum Glück ändert sich das langsam. Heute wird zunehmend über weibliche Autoritäten gesprochen, über Namen, die lange aus der Geschichte gelöscht wurden. Wir erinnern lautstark daran, dass Schlesien nicht nur von reichen Familien und Männern aufgebaut wurde, sondern auch von Frauen – sowohl wohlhabenden als auch aus niedrigeren sozialen Schichten.

Zum Schluss wollen wir das Interview mit einer einfachen Frage abschließen: Ist Schlesien bereit für eine weibliche Perspektive, die keine Tabus scheut?

Ich denke schon – und dass Schlesien schon immer dafür bereit war. Es gibt also keinen Grund, sich zurückzuhalten oder Sorgen zu machen. Jetzt ist der beste Moment, laut und offen aus weiblicher Perspektive zu sprechen, selbst wenn es Themen betrifft, die als tabu gelten.


Comics von Katarzyna Witerscheim finden Sie unter: www.panna-n.com

Der Text ist eine gekürzte Fassung eines Interviews, das ursprünglich auf der Webseite www.impressje.pl im Rahmen des Projekts „imPressje Górnośląskie“ erschienen ist. Das Projekt wird vom Klub Jagielloński in Zusammenarbeit mit der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen der Woiwodschaft Schlesien, dem Verein Regios sowie dem Podcast „Szyb Kultury“ durchgeführt und aus Mitteln des Museums der Polnischen Geschichte in Warschau im Rahmen des Programms „Patriotismus von Morgen“ gefördert.

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